Gedanken zu meinem persönlichen Mauerfall

Meine Gedanken und Geschehnisse zu meinem persönlichen Mauerfall habe ich […]

Geschrieben von Torsten Berg

Dieser Beitrag wurde am 09.11.2019 aktualisiert.

Erstellt wurde er am 09.11.2014 .

Gedanken zu meinem persönlichen Mauerfall

Meine Gedanken und Geschehnisse zu meinem persönlichen Mauerfall habe ich schon 1989 zu Papier gebracht. Seit Jahren schreibe ich schon Tagebuch um meine Eindrücke und Gedanken festzuhalten. Somit schreibe ich für mich meine Geschichte nieder.

Manche Einträge sind sehr persönlich, zu persönlich um diese weiter zu geben. Andere gebe ich guten Gewissens weiter, stellen sie doch eine Art von Zeitzeugenberichten dar. Hier nun die Gedanken aus dem Jahre 1989 zu meinem persönlichen Mauerfall.

Diese habe ich 1989 niedergeschrieben, frisch und ungefiltert, wie sie mir in die Sinne gekommen sind. Würde ich heute diese Gedanken niederschreiben, würden diese wahrscheinlich anders ausfallen. Ob positiv oder negativ anders sei dahingestellt.

Dies bitte ich beim Lesen zu berücksichtigen:

Es war ein trüber Herbsttag im November des Jahres 1989. Wie gewohnt stand ich morgens auf, duschte und frühstückte. Ich weiß nicht warum ich das Radio nicht einschaltete. Wie gewöhnlich packte ich meine Sachen, holte mein Moped aus der Garage und fuhr noch in der Dunkelheit zu meinem damaligen Arbeitsort, der sich mitten im Wald befand.

Damals war ich noch nicht einmal ein Jahr nach dem Abschluss meiner Lehre als Forstfacharbeiter im Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Ballenstedt eingestellt. Unsere Brigade – so hieß das damalige Arbeitskollektiv – war meistens im Waldbau und weniger mit dem Holzeinschlag beschäftigt. Desto häufiger wechselten die Flächen, auf denen wir eingesetzt waren. Fast immer mit dabei war unser Bauwagen, in dem wir unser Werkzeug unterbrachten und bei schlechtem Wetter auch unsere Pausen verbrachten. Ein kleiner Kanonenofen, welcher mit Holz geheizt wurde, lieferte uns im Winter die Wärme und verbreitete eine gemütliche, ja fast romantische Atmosphäre.

Da es im November schon kühl und feucht war und ich als Erster an jenem Tage am Wagen ankam, zündete ich im Ofen das Feuer an. Unsere Brigade bestand zu der Zeit aus drei Mitgliedern und einem Kutscher; der von Fall zu Fall mit seinen Pferden uns zur Seite stand. Ich war mit meinen damals achtzehn Jahren der Jüngste, gerade frisch aus der Ausbildung, die Armeezeit noch vor sich.

Am 07. Oktober hatte die DDR gerade ihren 40. Jahrestag als erster sozialistischer deutscher Arbeiter- und Bauernstaat gefeiert. Seit August aber liefen schon die Bürger dieses Staates scharenweise über die Botschaften in Budapest, Prag und Warschau dem System davon.

Ich stand nun am Morgen dieses 10. November vor dem Bauwagen (die Grenzöffnung erfolgte am 09. November abends), zerkleinerte das trockene Holz zum Anzünden des Feuers und heizte den Ofen ein. Schon erfüllte erstes Knistern den Raum, langsam wurde es draußen hell. Eigentlich mussten meine Kollegen schon da sein, aber das störte mich weiter nicht. So legte ich Holz nach und goss mir meinen mitgebrachten Tee ein.

Zu meinen Kollegen gehörte ein vierzigjähriger Familienvater, der schon seit Beginn der Massenfluchten über die Flüchtlinge schimpfte. Republiksverräter, arbeitsscheues Gesindel und Nichtskönner waren noch die harmlosesten Bezeichnungen, die aus seinem Munde kamen. Irgendwie wollte er wohl uns beiden anderen aufstacheln, vielleicht hatte er ja einen besonderen Auftrag – wer wußte das damals schon. Der zweite Kollege, unser Brigadier war ein fünfunddreißigjähriger Forstfacharbeiter aus Hoym, mit dem man ganz normal umgehen und reden konnte. Er war es auch, der an diesem Morgen dann etwas zu spät am Wagen eintraf.

„Hast du es gehört? Die Grenze ist auf!“ waren seine Begrüßungsworte. Er muss wohl die Fragezeichen in meinen Augen gesehen haben. So war es wohl passiert, die Montagsdemonstrationen und die Republikflüchtlinge hatten es geschafft, die Mauer war offen. Ein Ereignis, welches wohl so nur einmal in der Geschichte vorkommt und ich hatte es verschlafen und stand hier nun nichtsahnend mitten im Wald des Harzes. Gestern Abend war ich ohne Fernsehen relativ früh ins Bett gegangen, hatte am anderen Morgen kein Radio gehört. So konnte ich natürlich auch nichts von den legendären Worten von Schabowski wissen, mit denen sich für viele Menschen die Welt veränderte.

Noch waren wir nicht vollzählig. Wir wurden es an diesem Tage auch nicht mehr, eigentlich nie mehr. Wie sich Monate später herausstellte, war unser ach so partietreuer Genosse noch in derselben Nacht mit Frau, Kindern und einigen wenigen Habseligkeiten Richtung Bayern aufgebrochen, um dort sein Glück zu versuchen. Ob es ihm etwas genützt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich ihn bis jetzt nie wieder gesehen.

Seit diese Nacht sollten sich auch für mich viele Dinge ändern. Zwar nicht sofort, aber die Veränderungen waren absehbar. Dinge, die es bis dato in der DDR gab, waren für die Bevölkerung so uninteressant geworden wie nur selten etwas. In den Wochen, die auf die Grenzöffnung folgten, waren ganze Klassenräume leer, konnten Fabriken fast nichts mehr produzieren, weil der größte Teil der DDR aufbrach, um die Segnungen des Westens zu erforschen.

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