Das Nü – die Weihnachtsgeschichte 2022

Was wäre Weihnachten in Waldesruh ohne die alljährliche Weihnachtsgeschichte 2022? […]

Geschrieben von Edgar Ente

Dieser Beitrag wurde am 17.01.2023 aktualisiert.

Erstellt wurde er am 25.12.2022 .

Das Nü – die Weihnachtsgeschichte 2022

Was wäre Weihnachten in Waldesruh ohne die alljährliche Weihnachtsgeschichte 2022? Seit 2015 geschehen hier in unserem beschaulichen Ort mit den liebenswerten Einwohnern wundersame Dinge. Auch am diesjährigen 1. Advent war es am Morgen wieder kälter geworden in Waldesruh. Und das lag nicht nur am Weltgeschehen, am Krieg in der Ukraine oder am teuren Heizgas. Vielmehr wird es Winter und im Winter ist es bekanntlich kälter als im Sommer. Zumindest in den Breiten, in denen sich unser beschauliches Örtchen befindet. Was werden die Waldesruher denn dieses Jahr erleben?

Das Nü - die Weihnachtsgeschichte 2022

Am 1. Advent in Waldesruh

Schon beim morgendlichen Aufwachen bemerkte Fräulein Krause die Kälte natürlich. Frauen sind eben etwas kälteempfindlicher und unser Fräulein Krause bekanntlich besonders. Aber die Kälte hielt unser tatenhungriges und immer freundlich gelauntes Fräulein Krause nicht davon ab, auch heute wieder auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus nachzuschauen, ob alles zufriedenstellend verlaufen wird. Erst recht am heutigen ersten Adventssonntag des Jahres. Denn wie in den Jahren zuvor, wenn die Weihnachtszeit naht, war auch Zeit für das Weihnachten in Waldesruh. Gerade in Zeiten, in denen es den Menschen nicht so gut ging, war Weihnachten bisher immer ein Moment gewesen, wo nicht nur Kinderaugen leuchteten.

Gewiss, in diesem Jahr hatte sich der Schöpfer und Erfinder des beschaulichen Örtchens, welches sich bekanntlich irgendwo im Harz befinden müsste, nicht wirklich um Waldesruh gekümmert. Dazu wird er wohl seine Gründe gehabt haben. So ging es eben in Waldesruh ruhiger zu als sonst. Es wurde nicht viel gebaut und viele Touristen und Urlauber kamen auch nicht in die Gegend. Es war also alles wie vorher.

Die Bewohner aus Waldesruh erfuhren trotzdem natürlich auch vom Weltgeschehen. Denn so ganz abgeschieden war unser Örtchen ja nicht mehr. Es gab Telefon und Internet und auch die Post kam nun nicht mehr nur einmal die Woche. Auch den fröhlichen Menschen hier blieb nicht verborgen, dass das Leben teurer wurde. Doch im Gegensatz zu den vielen Menschen aus den Städten konnten sich die Waldesruher immer noch selbst helfen. Sie sorgten sich um ihre Vorräte, weckten ein und konservierten ihre Nahrungsmittel. Da sie diese hier meistens vor Ort anbauten und ihre Tiere auch in ihren Ställen standen, brauchten sie diese nicht teuer von anderen Orten einzukaufen. Regional und saisonal war schon immer das Stichwort für ihr Handeln.

Selbst ihr Brennholz sammelten die Leute noch selbst. Zwar war dafür seit einigen Jahren ein Brennholzsammelschein von der Regierung vorgeschrieben. Aber diesen Schein zu bekommen, dass war bei Förster Grünrock kein Problem. Und der Schein kostete in Waldesruh auch kein Geld. Die Menschen hier versuchen eben seit jeher immer das Beste aus der jeweiligen Zeit zu machen.

Die letzten zwei Jahre hatte man mit Corona schon einige Probleme. Auch die Klimakrise und die Energiekrise zeichnete sich ab. Dann fing auch noch der Krieg in der Ukraine an. Aber die Waldesruher verzweifelten noch nicht. Denn auch und gerade die Geschehnisse zu Weihnachten, welche jedes Jahr hier im Ort passierten, hatte den Menschen gezeigt, dass es immer noch Wunder auf der Welt gibt. Man muss nur daran glauben und auch manchmal ein bisschen genauer hinsehen.  Hätte denn früher jemand geglaubt, dass der Weihnachtsmann in Waldesruh einen Unfall haben würde (2016)? Oder dass die Menschen 2018 Weihnachten komplett zerstört hätten? Auch in Krisenzeiten ging das Leben weiter.

Auch in Waldesruh war das nicht anders! Jeder ging seiner Arbeit nach, jeder half im Haushalt mit und jeder half auch dem Nachbarn, wenn jemand Hilfe benötigte. So war es schon seit Hunderten von Jahren in Waldesruh gut gegangen. Und alle zusammen feierten als Waldesruher ihre Feste. Immer gab es mindestens ein Fräulein Krause oder einen anderen hilfreichen Bewohner, welcher sich um die Organisation kümmerte.

So organisierte unser Fräulein Krause auch in diesem Jahr die Ausgestaltung vom Weihnachten in Waldesruh. Es sollte trotz Energiekrise und hoher Inflation so beschaulich, gemütlich und familiär sein, wie sie es dem Weihnachtsmann im Jahr 2018 versprochen hatten. Auch in diesem Jahr sollte es keinen Streit, kein Kommerz und keinen Stress zur Advents- und Weihnachtszeit geben.

Verträumt blickte Fräulein Krause aus ihrem Küchenfenster über dem Rathaus auf den Weihnachtsmarkt von Waldesruh hinunter. Noch war niemand auf dem Platz zu sehen. Nur die Straßenlaternen leuchteten in der Dunkelheit. In ein paar Stunden jedoch würde wieder gemütliche Weihnachtsstimmung über den Platz wehen. Leise seufzte unser Fräulein Krause vor sich hin. Aber irgendetwas war anders an diesem Morgen. Bei ihrem Blick auf den Weihnachtsmarkt bemerkte sie ein Glitzern und Glimmern. Eigentlich sollten alle Lampen, Lichter, Kerzen und Feuer wegen der Stromeinsparungsmaßnahmen noch nicht in Betrieb sein.

Unser Fräulein Krause schaute genauer hin. Nein, es war kein Licht und keine Lampe, welches dort glitzerte. Vielmehr sah das Glitzern aus wie ein Weihnachtsbäumchen. Doch solche glitzernden Bäumchen hatte Förster Grünrock doch gar nicht geliefert. Und was war das für ein brauner Schatten, den Fräulein Krause kurz bemerkte? Schnell griff sie zu ihrem kecken Reiherfederhütchen, schnappte sich den Mantel und eilte die Rathaustreppen hinunter auf den Weihnachtsmarkt.

Das Nü - die Weihnachtsgeschichte 2022

Überraschungen am Morgen

Als unser Fräulein Krause die schwere Rathaustür öffnete und auf das Rathausportal trat, fuhr ihr der kalte Morgenwind unter den Mantel. „Hui“ schüttelte sich unser Fräulein aber nur kurz, zog den Mantel noch enger um ihre Schultern und eilte weiter auf den Weihnachtsmarkt.

Ein wenig hatte es über Nacht geschneit. Eine feine, weisse Zuckerschicht überzog den Boden des Rathausplatzes. Zielstrebig steuerte das Fräulein auf den glitzernden Gegenstand zu. Je näher sie in seine Richtung kam, desto sicherer erkannte sie, dass es sich hier tatsächlich um ein kleines glitzerndes Bäumchen handelte.

Im Vorbeigehen konnte das Fräulein, von dem wir ja alle wissen, dass ihr Vorname Uschi ist, einen kurzen Blick auf die Figuren der Krippe werfen. Diese schönen, lebensgroßen Figuren haben die Spielzeugmacher aus Waldesruh in mühe- und liebevoller Arbeit geschnitzt und dem Ort im Jahr 2015 zur Weihnachtsfreude geschenkt.

Mit einem Lächeln bemerkte Uschi, dass es den Figuren gut ging. Alle standen an ihrem Platz. Das war beruhigend, denn seit Josef und Maria kurz nach ihrer Aufstellung 2015 auf dem Weihnachtsmarkt wieder verschwunden waren, hatte dieser Vorfall den ersten Weihnachtskrimi in der Ortsgeschichte von Waldesruh ausgelöst. Und solch eine Aufregung brauchten die Waldesruher zu Weihnachten nun wirklich nicht mehr.

Nein, mit den Figuren war anscheinend alles in Ordnung. Doch war da an der Krippe nicht wieder dieser braune Schatten? Wieder sah sie ihn nur kurz. Angestrengt schaute sie noch einmal in die Richtung der Heiligen Familie und der Krippe. Nein, da war nichts. Fräulein Krause musste sich getäuscht haben. Schnell eilte sie weiter und kam schließlich an der Stelle an, von der sie das Glitzern aus ihrem Küchenfenster heraus entdeckt hatte.

Das glitzernde Bäumchen

Tatsächlich, hier stand sie vor einem Weihnachtsbäumchen. Das Bäumchen glitzerte und funkelte im Schein der wenigen Laternen. Aber wer hatte das Bäumchen hierhergebracht? Fräulein Krause wusste ganz genau, hier an dieser Stelle waren keine Bäume aufgestellt. Und die Bäume, welche Förster Grünrock für den Weihnachtsmarkt geliefert hatte, die waren allesamt grün und glitzerten nicht. Nun ja, aber unser Fräulein Krause stand nun direkt vor einem glitzernden Weihnachtsbäumchen.

Plötzlich hörte man aus der Bude von Schneiders Bratwurst Spezialitäten rumpelnde Geräusche. Es schepperte und rummste. Todesmutig eilte Fräulein Krause die wenigen Meter bis zur Hütte. Aber die war verschlossen. Und die Verkaufsläden waren auch noch zu. Die einzige Auffälligkeit war die umgestürzte Mülltonne hinter der Bude. Und klang da nicht ein Schmatzen durch die Hüttenwand?

Fräulein Krause verhielt sich still und leise. Irgendjemand oder irgendetwas war in der Hütte. Seltsam! Von Draußen waren keine Spuren zu sehen. Waren es Waschbären, die sich neuerdings in den Wäldern von Waldesruh heimisch fühlten? Ein Fuchs oder sogar Wildschweine? Fräulein Krause wurde etwas unruhig. Hier sollte sie sich lieber Hilfe von Wachtmeister Hoffmann oder von Förster Grünrock holen.

Das Nü - die Weihnachtsgeschichte 2022

Chaos in der Würstchenbude

In diesem Moment jedoch kamen bereits die netten Verkäuferinnen aus der Bratwurstbude. Denn der Weihnachtsmarkt öffnete bald und bis dahin sollten die ersten Bratwürste bereits auf dem Grill liegen. Fräulein Krause erzählte den Damen von ihren Beobachtungen. Gemeinsam öffneten die Frauen die Bude. Vor ihnen zeigte sich ein mittleres Chaos. Alle Schränke und Schubladen waren offen. Brötchen und Würste lagen auf dem Boden. Aber nur die Verpackungen der Spekulatiuskekse waren aufgerissen. Viele Kekskrümel lagen auf dem Boden zwischen den Brötchen und den Würsten.

Geistesgegenwärtig sicherte Fräulein Krause mit Hilfe der Verkäuferinnen den Tatort. Heute würden die Besucher wohl hier keine Bratwurst kaufen können. Erst musste Wachtmeister Hoffmann seine Arbeit erledigen. Denn er wurde jetzt hier gebraucht. Es dauerte nicht lange, da war der Wachtmeister auch schon vor Ort. Glücklicherweise trafen auch Förster Grünrock und Egon Schulze hier ein. Und auch unser Reporter Edgar Ente war vom ungewohnten Trubel aufmerksam geworden und bereits mit seiner Kamera erschienen.

Mittlerweile waren auch die ersten Besucher des Weihnachtsmarktes in ihren Gästezimmern aufgewacht und wollten einen ersten kleinen Bummel über den Markt machen. Deshalb waren sie hier zum Weihnachten in Waldesruh. Aber der Auflauf an der Bratwurstbude erregte wenig Aufmerksamkeit. Viel mehr wurden die beiden glitzernden Bäumchen bewundert.

Irritiert blickte Fräulein Krause zum Bäumchen hinüber. Tatsächlich, es waren jetzt auf einmal zwei glitzernde Bäumchen geworden. Unser Fräulein Krause traute ihren Augen nicht. Sie war sicher nur ein Bäumchen gesehen zu haben. Nun sah sie aber zwei? Und beide glitzerten und funkelten. Wieder einmal geschehen wundersame Dinge in Waldesruh.

Endlich waren unsere Männer aus Waldesruh fertig mit der Bestandsaufnahme. Alle sicht- und auffindbaren Beweise hatten sie gesichert, aufgeschrieben, aufgemalt und fotografiert. Einen Täter hatten sie dennoch nicht aufgespürt. Es müsste wohl noch mehr kriminalistischer Spürsinn aufgebracht werden. Hier aber auf dem Weihnachtsmarkt war es zum konzentrierten Arbeiten mittlerweile zu laut und zu wuselig geworden. Der Markt füllte sich mit Besuchern. So beschlossen unsere Waldesruher zur Rukollamühle zu ziehen und dort bei einem heißen Getränk das Geschehene zu analysieren.

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Auf dem Weg zur Rukollamühle

Unsere kleine Gruppe machte sich also auf den Weg zur Rukollamühle. Dafür mussten sie durch das Hagental und hinauf den Weg der steilen Trift nehmen. Dieser Weg führte den Ramberg hinauf zum Forsthaus von Waldesruh und weiter dann zur alten Rukollamühle von Tante Rukolla. Die Trift ist zwar etwas steiler, aber bedeutend kürzer als der Umweg über den Nachbarort Wilhelmsbrunn. Unsere Waldesruher stapften den Weg hinauf. Es hatte zwar nicht weiter geschneit und glücklicherweise war der Weg trocken. So konnte die Gruppe zügig den Berg hinaufsteigen. Keiner von ihnen kam ausser Atem. Denn solcherart Anstrengungen ist man hier in Waldesruh schon gewohnt.

Trotzdem schwiegen alle die meiste Zeit. Vielleicht waren sie zu konzentriert auf den Aufstieg. Vielleicht aber waren sie auch nur mit ihren eignen Gedanken beschäftigt. Denn wer sollte in Waldesruh zur Weihnachtszeit in eine Würstchenbude einbrechen und dann dort nur die Kekse aufessen? Und woher kamen plötzlich über Nacht die glitzernden Bäumchen? Wieder einmal geschehen Dinge in Waldesruh, die selbst für die Waldesruher unerklärlich sind.

Endlich war unsere kleine Gruppe am Forsthaus von Förster Grünrock angekommen. Hier hatte man bereits den höchsten Punkt des Weges überschritten und von nun an ging es sozusagen nur noch abwärts. Als die Erwachsene die letzte Biegung des Weges vor dem Forsthaus hinter sich gelassen hatten, sahen sie bereits die Waldesruher Kinder winken. Irgendetwas schienen die Kinder ihnen sagen zu wollen. Unsere Erwachsenen machten also eine kleine Pause und versuchten zu verschnaufen. Aber mit dem Verschnaufen war das so eine Sache. Denn unsere Waldesruher Kinder Susi Bendig, der dicke Bernd und unser Forschtrat Tobi waren zu aufgeregt.

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Die Entdeckung der Kinder

Hektisch winkten die Kinder die Erwachsenen zu sich heran. Und auch hier vor dem Stall von Förster Grünrock sahen sie ein glitzerndes Bäumchen stehen. Aber nicht das glitzernde Bäumchen war der Grund für die Aufgeregtheit der Kinder. Vielmehr schien sich etwas im Dunkeln der Scheune versteckt zu haben. „Es schien ganz ängstlich zu sein.“ rief Susi den Erwachsenen zu. Selbst unser Forschtrat war sich nicht sicher, was die drei Kinder gesehen hatten. „Es war braun und lief auf zwei Beinen. Aber was das für ein Tier war, das habe ich nicht gesehen.“ Ganz aufgeregt waren die drei jungen Waldesruher.

Nachdem die Kinder etwas ruhiger geworden sind, konnten sie den Erwachsenen von ihrer Entdeckung berichten. Wie üblich wollten die drei Kinder am Morgen nach den kranken und verletzten Tieren im Krankenhaus von Förster Grünrock sehen. Seit Jahren schon kümmern sich die Waldesruher Kinder mit vollem Einsatz und ganzen Herzen um die verletzen Tiere, die bei Förster Grünrock versorgt werden. Als die Kinder also am frühen Morgen in den Stall kamen, da war etwas anders als sonst. Hinten in der dunklen Ecke versuchte sich etwas zu verstecken. Es sah aus wie ein mittlerer kleiner Bär. Das Tier seufzte und schluchzte, so schien es. Behutsam und vorsichtig näherten sich die Kinder. Sie erblickten einen langen Schwanz und zwei Hörner. Ein Bär war das sicherlich nicht.

Vorsichtig und ganz langsam näherten sich die drei Kinder. Auf einmal hob das Tier den Kopf und blickte die Kinder aus weit aufgerissenen Augen an. Susi Bendig erschrak vor dem Aussehen. Welch ein Ungeheuer war hier in den Stall eingedrungen? Doch der Forschtrat nahm all seinen Mut zusammen und stellte sich zusammen mit dem dicken Bernd schützend vor ihre Freundin.

Mit einem Seufzer ließ das schreckliche Tier seinen Kopf traurig sinken. Da übermannte unsere Susi das Mitleid und sie ging auf das Wesen zu. Behutsam legte sie ihre Hand auf das dichte, warme und wollige Fell und streichelte den Kopf des nun nicht mehr so schrecklichen Wesens. „Nüüüüüüüüü“ machte das Tier, „Nüüüüüüüüü“. Und plötzlich glitzerte und glänzte es durch die Scheunenwand. Diesen Moment der Überraschung schien das Tier genutzt zu haben und flüchtete. Zurück blieben nur die drei ratlosen Kinder und das glitzernde Bäumchen vor dem Stall.

Nach dieser Schilderung waren die Erwachsenen genauso ratlos wie vorher. Womit hatten sie es hier zu tun? Selbst Förster Grünrock, der ja alle seine Tiere in und um Waldesruh kannte, konnte sich nicht vorstellen, um was für ein Tier es sich handelte. War es verletzt und brauchte es Hilfe? War es in Gefahr oder war es gar selbst gefährlich?

Nein, ein gefährliches Tier war es sicherlich nicht. Denn unsere Susi konnte es ja streicheln und auch die beiden Jungs hatten nicht den Eindruck, daß sie es hier mit einem gefährlichen Raubtier zu tun haben. Was aber war es für ein fremdes Wesen? Der dicke Bernd brachte es auf den Punkt: sie sollten das Tier Nü nennen. Denn „Nüüüüüüüüü“ war der erste Laut, welchen es den Kindern gegenüber geäußert hatte.

„Nü klingt ganz nett. Wir haben also ein Nü hier in Waldesruh!“ Fräulein Krause war wieder ganz in ihrem Element. Die Waldesruher hatten nun eine Aufgabe. Sie mussten wissen, was oder wer hinter dem Nü steckte. In diesem Moment verdunkelte sich der Himmel und ein Sturm kam auf. Es blitzte und donnerte. Unser Fräulein Krause konnte gerade noch rechtzeitig ihr Reiherfederhütchen festhalten. So plötzlich wie das Unwetter erschienen war, so plötzlich verschwand es wieder. Doch unseren Waldesruhern war der Schreck in Mark und Bein gefahren.

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Der Conduttiere erscheint

Der Wind legte sich, die Wolken verzogen sich und das Tageslicht wurde wieder heller. Wie aus dem Nichts gekommen, stand vor unseren Waldesruhern ein elegant gekleideter, weisshaariger Herr. Auffällig waren sein schwarz-roter Umhang und sein roter Schal. „Gestatten, ich bin Conduttiere del Carro, Besitzer der Menagerie de établissement de curiosité und ich reise damit durch das Land. Hier bin ich auf der Suche nach einem gefährlichen Ungeheuer, welches in Waldesruh sein Unwesen treiben soll.

Entgeistert blickten die Waldesruher erst gegenseitig sich an, dann den fremden Mann. Er war schon eine imposante Erscheinung. Doch die Waldesruher lassen sich durch solche Äusserlichkeiten nicht täuschen. Viel zu oft waren schon einige lackierte Fremde im Ort gewesen und hatten den Bewohnern alles Mögliche versprochen.

Die Waldesruher sollten vorsichtig sein, warnte der Fremde. Das Tier, welches er aufspüren wollte, schien sich in Waldesruh aufzuhalten. Es gäbe einige Anzeichen dafür, den es hinterlässt eine Spur aus Glitzer. Das Tier ist rund 2 Meter hoch, hätte braunes Fell, zwei Hörner und einen langen Schwanz. Es sei ein „magnificante animali und ässerst blutrünstig“. Vor allem kleine Kinder sollten sich vor ihm in Acht nehmen.

Na, dann kann er das Nü nicht meinen“, räusperte der dicke Bernd. Noch rechtzeitig konnte die Susi ihn aber in die Seite stupsen. So bekam der Fremde nicht mit, was der dicke Bernd sagen wollte. Der Fremde bedeutete unseren Waldesruhern, ihn unbedingt zu kontaktieren, wenn hier im Ort die unbekannte Kreatur auftauchen würde. Er übergab eine kleine verschnörkelte Visitenkarte an Egon Schulze und verschwand so plötzlich, wie er erschienen war.

Sorge um das Nü

Verwirrt schauten sich die Waldesruher an. Es war ihnen zwar bekannt, dass es in Waldesruh ein Ungeheuer gab. Denn vor einiger Zeit hatte ein Urlauber ein erstes Foto machen können. Zugegeben, das Foto war zwar nicht besonders aussagefähig, aber dennoch ein erster Hinweis. Susi Bendig übernahm die Initiative. „Er kann nur das Nü meinen! Der Mann will das Nü fangen und dann in einen engen Käfig in seiner Tierschau ausstellen.“ Denn eine Menagerie ist nämlich nichts anderes als eine Tierschau.

Aber das Nü war bekanntermaßen kein blutrünstiges Ungeheuer. Das hatten die Waldesruher Kinder ja bereits erkannt. Wenn das Nü in Waldesruh eine Zuflucht suchen sollte, hier wäre es willkommen. Jetzt mussten die Waldesruher also nur noch das Nü finden und es dann auch noch vor dem Fremden verstecken. Denn keiner der Anwesenden wollte, dass das Nü in einen engen Käfig gesperrt und als Ausstellungsobjekt missbraucht werden würde.

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Debatten bei Tante Rukolla

Nur, wie sollten sie das Nü finden? Und wohin dann mit ihm? Und wie sollten sie den Fremden abwimmeln? Jetzt waren unsere Waldesruher mehr als gefordert. Hier konnten nur noch weitere Waldesruher mithelfen. Wie geplant machte sich unsere Gruppe auf den Weg zur Rukollamühle. Vielleicht finden sie dort bei einem heissen Getränk eine gute Lösung. Der Weg zur Rukollamühle war nicht mehr lang. Bald waren unsere Waldesruher am Ziel angekommen. In der warmen Gaststube bei Tante Rukolla setzten sie sich gemeinsam an einen Tisch. Dort konnten sie sich erst einmal bei heissem Glühwein aufwärmen. Für die Kinder gab es natürlich keinen Alkohol, sie durften warmen Kakao trinken. Unter den wenigen Gästen sahen unsere Waldesruher bekannte Gesichter. Bauer Heinrich war hier und auch Bertram Baumeister, der Chef der Gemeindearbeiter. Als Pfarrer Braun mit den Nonnen von Kaltenthal durch die Tür in das Mühlenkaffee kam, erzählte Fräulein Krause gerade alle Details, die sie bisher erlebt haben. Auch der Pfarrer und die Nonnen hörten andächtig zu, ohne das Fräulein zu unterbrechen.

Nachdem sie ihre Erzählung beendet hatte, brach eine angeregte Diskussion los. Alle redeten durcheinander und niemand bekam eigentlich mit, was der Andere gerade sagte. „So jeid das nich. (So geht das nicht!)“ brabbelte laut Bauer Heinrich in den Saal. Er griff in seine Brusttasche und holte eine Flasche von seinem innig geliebten Waldesruher Bitterblubber heraus. Bedächtig schraubte er die Flasche auf. Dabei schauten ihn alle Waldesruher erwartungsvoll an. „Jedzd nähm wa ma alle een Schlugg vom Bidderblubber un denke ma nach. Den dann wisse wirr was zu dun is. (Jetzt nehmen wir mal alle ein Schlückchen vom Bitterblubber und denken nach. Dann wissen wir, was wir machen sollen.)“ schlug er den Anwesenden vor.

Die Idee zur Lösung

In diesem Moment kam Tante Rukolla aus der Backstube mit einem grossen Blech voll duftender und noch warmer Rentierplätzchen. Diese Plätzchen sind aber natürlich nicht aus Rentieren gemacht, sondern aus Spekulatiusteig. Sie hatten nur die Form eines Rentieres und wurden 2017 von Tante Rukolla erfunden, als das Rentier vom Weihnachtsmann für ein Jahr in Waldesruh leben musste. Der Geruch der frischen Spekulatiuskekse stieg unseren Waldesruhern direkt in die Nase. Der dicke Bernd war einer der ersten am Backblech und hatte schon einen Keks im Mund. Plötzlich rief unser Fräulein Krause: „Spekulatius! Das Nü hatte in der Bratwurstbude nur die Spekulatiuskekse gegessen. Damit finden wir es!“ Aufgeregt erzählte sie noch einmal von den Vorgängen an der Bude von Schneiders Bratwurst Spezialitäten.

„Dann brauchen wir nur eine Falle zu bauen, die Kekse als Köder anbringen und dann fangen wir das Nü mit der Falle.“ rief ganz aufgeregt der Forschtrat Tobi. „Das habe ich schon damals mit dem Siebenschläfer gemacht.“. Bertram Baumeister war ganz stolz auf seinen Sohn. Also hatte der Tobi dann wohl doch etwas handwerkliches Geschick von ihm erhalten. „Klar, die Falle muss dann nur gross genug sein. Am besten wäre ein Schuppen oder so.“ begeistert legte er seinen Arm väterlich um seinen Sohn. „Das machen wir.“ Sofort erklärte sich Tante Rukolla bereit, einen ihrer Vorratsräume zur Verfügung zu stellen. Ein paar der Waldesruher müssen aber erst einmal den kleinen Schuppen schnell leerräumen. Zwischenzeitlich bauen die Gemeindearbeiter unter der Anleitung vom Forschtrat eine Fallenvorrichtung.

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Wie aber sollen die Waldesruher den Menageriebesitzer davon abhalten, das Nü vorher zu fangen? Nach kurzem Nachdenken schlug Egon Schulze vor, dass er in seiner Eigenschaft als Ortsvorsteher gemeinsam mit Wachtmeister Hoffmann der Menagerie einmal einen Besuch abstatten sollte. Schliesslich muss man sich als Verantwortlicher darum kümmern, dass auch alle Vorschriften für die Haltung von Tieren in einer Menagerie eingehalten werden. Dieser behördliche Vorgang wird den Waldesruhern etwas Zeit verschaffen. Schnell eilten die zwei zum Rathaus, um die entsprechenden Gesetze durchzuschauen. Dann können sie den Herrn Conduttiere del Carro und seine Menagerie aufsuchen. Während die Ordnungshüter die rechtlichen Belange prüfen gehen, arbeiten die anderen Waldesruher bereits an der Fangvorrichtung.

Eine Falle für das Nü

Endlich hatten die Waldesruher den Schuppen von Tante Rukolla zu einer Falle für das Nü umgebaut. Jetzt warteten alle auf ein weiteres Backblech voller frischer duftender Spekulatius-Rentier-Kekse. Während die Frauen die Kekse zubereiteten, sperrten die Gemeindearbeiter das Umfeld der Rukollamühle weiträumig ab. Kein neugieriger Urlauber oder gar verirrter Wanderer sollte das Nü vertreiben. Denn bestimmt war es durch die ganzen Vorgänge und die allgemeine Hektik des Weihnachtsgeschäftes noch vorsichtiger geworden.

Endlich brachten die Frauen aus der Backstube die frischen Kekse. Der leckere Duft wurde bereits durch den Wind bis hoch zum Mühlenberg und in den beschaulichen Ort Waldesruh hineingetragen. Tante Rukolla hatte anscheinend eine besonders grosse Gewürzmenge für den Teig verwendet. Nicht nur den Kindern hatten plötzlich eine riesige Lust auf Spekulatius. Aber die Kekse waren ja für einen guten Zweck gedacht. Die Frauen stellten die Kekse auf einen Tisch in der Mitte des Schuppens. Von hier verbreitete sich der Duft rund um die Rukollamühle. Die Waldesruher versteckten sich hinter den nahen Büschen und warteten.

Einige Zeit verging, während der einfach nichts geschah. Langsam wurden die Kinder unruhig. Susi und der dicke Bernd bemängelten, dass heute unbedingt noch die Waldtiere gefüttert werden müssten. Denn das war schon immer Tradition in Waldesruh. Die Weihnachtsfütterung der Waldtiere musste auch dieses Jahr am Heiligen Abend einfach sein. Nur wie sollen sich die Kinder entscheiden? Schliesslich wollen ja auch alle das Nü retten. Nach einiger Diskussion können sich die Kinder einigen. Dem dicken Bernd wird sowieso langsam langweilig und der Susi wird es zu kalt. Nur der Forschtrat ist am Ausharren. Die Geduld von Tobi beim Beobachten von Tieren kennen alle Waldesruher schon. Also gehen Bernd, Susi und Förster Grünrock zusammen mit den anderen Kindern in den Wald zum Füttern der Tiere. Tobi wird hier bei den Waldesruher Erwachsenen bleiben. Vielleicht lässt sich das Nü wirklich sehen? Die Gruppe hinter den Büschen wird kleiner. Und damit auch ruhiger.

Das Nü - die Weihnachtsgeschichte 2022

Schon wird es draussen langsam dunkel. Die Straßenlampen flackern und lassen ihr Licht auf die Wege scheinen. Plötzlich bewegt sich etwas am Rand der Terrasse. Und richtig, im Schutz der Hecke schleicht sich etwas in Richtung des Schuppens.

Unterhalb der Terrasse befindet sich die Drachenglashöhle. Sollte sich das Nü in der Höhle versteckt haben? Oder sogar dort zu Hause sein? Noch nie hatte jemand aus Waldesruh die gesamte Drachenglashöhle erkundet. Zwar vermuten Schatzsucher hier das Bernsteinzimmer und auch Lithium soll hier entdeckt worden sein. Aber schon seit Jahrhunderten wird darüber berichtet, dass in der Höhle ein Drachen leben soll. Vielleicht hat deswegen noch niemand die gesamte Höhle erkundet.

Immer wieder schaut sich das fast mannshohe Tier um. Es hebt die Nase, als ob es den Geruch der Rentierkekse aus Spekulatius wahrnimmt. Die Waldesruher halten den Atem an. So etwas haben selbst sie noch nicht gesehen. Das Tier geht langsam in den Schuppen hinein. Plötzlich geht alles ganz schnell. Es rumpelt im Schuppen, ein Quietschen und ein Knall. Die Falle hat zugeschnappt. Die Waldesruher eilen zum Schuppen. Dort hören sie ein kurzes „Nüüüüüüüüü“. Plötzlich erstrahlt auch hier an der Rukollamühle ein glitzerndes Bäumchen. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

Tante Rukolla und Fräulein Krause trauen sich als erste in den Schuppen. Schnell geben die Frauen Entwarnung. Und sie kommen sogar mit dem zutraulichen Nü aus dem Haus. Anscheinend haben  Spekulatiuskekse eine vertrauensbildende Wirkung. So können die Waldesruher das Nü betrachten. Schnell merken sie, dass es gar nicht so gefährlich ist, wie es ausschaut.

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Plötzlich erscheint unter grossem Getöse wieder der bereits bekannte Menageriebesitzer Conduttiere del Carro. Anscheinend hatten die behördlichen Ablenkungsmassnahmen von Egon Schulze und Wachtmeister Hoffmann nicht den gewünschten Effekt gehabt. „Guten Abend! Wie ich erblicke, habt ihr das gefährliche Raubtier gefangen. Bitte übergebt es nun, denn es gehört mir!“ Die Waldesruher waren nahezu sprachlos.

„Nein, es gehört Ihnen nicht! Es gehört niemanden hier. Es ist frei in seinem Willen. Und niemand hat das Recht, es einzusperren und auszubeuten.“, erhob Pfarrer Braun seine mächtige Stimme. Mit der konnte er bekanntlich ganze Kirchenschiffe ausfüllen. Aber auf den Fremden machte die Stimme wohl wenig Eindruck. Mit einem weiteren Schritt ging er auf das Nü zu. Das versteckte sich zwischen den Waldesruhern. Nun stellten sich auch die Nonnen an die Seite des Pfarrers. Der Fremde schien kurz zu zögern, machte aber dann doch einen weiteren Schritt.

In dem Moment hörte man es hinter dem Fremden knurren. Als dieser sich umdrehte, blickte er in die Augen der Waldesruher Tiere. Förster Grünrock und die Kinder hatten es doch noch rechtzeitig zur weihnachtlichen Fütterung geschafft. Und da der Förster – wie nur wenigen bekannt sein dürfte – ein Geheimnis für sich selbst hat, ahnten die Tiere bereits, dass die Waldesruher ihre Hilfe benötigten.

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Entschlossen gingen die Tiere auf den Fremden zu. Nun hatte der Conduttiere den Pfarrer mit den Nonnen im Rücken und vor sich die Waldesruher Waldtiere. Kurzentschlossen machte er sich bereit, zu fliehen. „Isch werde wiederkommen!“ rief er den Waldesruhern zu und löste sich vor ihren Augen einfach in Luft auf. Verwirrt rieben sich die Waldesruher die Augen. Wie war so etwas möglich? Nur diejenigen, die wussten, welche wundersamen Geschehnisse sich in Waldesruh zur Weihnachtszeit ereignen können, wunderten sich nicht mehr. Aber alle zusammen freuten sie sich.

In diesem Moment setzte leichter Schneefall ein. Vom Himmel her ertönte das vertraute Knattern eines Trabbimotors. Der Weihnachtsmann setzte mit seinem Schlitten zur Landung an. Jetzt war die Zeit für Weihnachten. Alles andere konnte bis zum nächsten Jahr warten. Mit dem Schnee wehte auch die heimelige Weihnachtsstimmung heran. Die Waldesruher hielten sich an den Händen und sangen gemeinsam: „Stille Nacht, heilige Nacht.“. Der Zauber der Weihnacht war wieder einmal in Waldesruh angekommen.

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Die Waldesruher und ihre Gäste wünschen allen Leserinnen und Lesern besinnliche Stunden im Kreise der Menschen, die Ihr lieb gewonnen haben. Vielen Dank für Eure Zeit, die ihr hier beim Lesen in Waldesruh und den anderen Bereichen verbringt. Vielen Dank für Eure Hinweise und Ratschläge. Ich hoffe, ich konnte Euch auch in diesem Jahr wieder mehr als einmal ein Lächeln in das Gesicht zaubern.

FRÖHLICHE WEIHNACHTEN!


So, das war sie, die Weihnachtsgeschichte 2022 aus Waldesruh. Die Waldesruher hoffen, ihr hattet viel Freude mit ihren Erlebnissen. Solltet ihr Gefallen an der Geschichte gefunden haben, dürft ihr gern davon euren Freunden und Bekannten erzählen. Die Waldesruher freuen sich natürlich auch sehr über einen Kommentar von euch! Bleibt dran, auch im nächsten Jahr geht es weiter mit Waldesruh.

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